Fit wie ein Turnschuh auch mit 75

Sport ist in unserer Gesellschaft zum Zauberwort, Vergreisung zum Angstwort geworden. Gerade das Alter wird mit körperlichem Verfall und Krankheit gleichgesetzt, und doch sind Fitness und Gesundheit keinesfalls nur Attribute der Jugend. Sie können vielmehr zur Lebensgestaltung und vor allem zur Gesunderhaltung von Körper und Geist auch des alten Menschen wesentlich beitragen.

Im Alter werden die körperlichen Anforderungen geringer, wodurch es zur Verschlechterung der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit mit Anpassungsdefiziten kommt. Oft ist dieser Leistungsabfall mehr eine Folge der Arbeits-und Lebensweise als eine biologische Gesetzmäßigkeit. Das übliche Maß an Schonung entspricht meist nicht den noch bestehenden, wenngleich verringerten Anpassungsmöglichkeiten des zunehmenden Alters. Auch jedes noch so gesunde Organ ist nur so leistungsfähig, wie es gefordert wird.

Mäßige, aber ausreichend häufige und vorsichtig intensive körperliche Belastungen tragen zudem zur Verbesserung und Stabilisierung der psychischen Leistungsfähigkeit bei, etwa zur positiven Beeinflussung alterstypischer depressiver Stimmungen. Eine neue Studie zeigt, dass ein trainierter 70jähriger sich in besserem körperlichem Zustand befindet als ein untrainierter 30jähriger. Besonders wichtig ist der günstige Einfluß auf die Osteoporose: Frauen verlieren nach der Menopause unterschiedlich stark mineralhaltige Knochenmasse – im 70. Lebensjahr bis zu 30 Prozent – wodurch das Risiko steigt, einen Knochenbruch zu erleiden. Alterssport ist heute die einzige erfolgversprechende nichtmedikamentöse Therapie.

Dass für Ältere jedoch nicht jeder Sport gesundheitsfördernd sein kann, ergibt sich aus der altersbedingten Veränderung des Körpers. Diese Veränderung wirkt sich aus auf Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Koordination und Flexibilität. Kraft ist die Basis jeder Mobilität. Die Leistungseinschränkung im Alter ist demnach in erster Linie durch Veränderungen der Muskulatur bedingt. Vom bekannten ausgeprägten Bewegungsdrang im Kindesalter kommt es zum Höhepunkt von Mobilität und Kraftleistung zwischen dem. 16. und 20. Lebensjahr. Dann erfolgt ab 25 bis 40 Jahren ein zunächst langsamer dann zunehmender Kraftverlust. Bei Nichttrainierten nimmt die Muskelmasse zwischen 20 und 70 Jahren um 20 bis 40 Prozent ab. Neben der wichtigsten Bedeutung für den Stütz- und Bewegungsapparat hat die Muskelkraft aber auch großen Einfluss auf die Beanspruchung von Herz, Lunge und Gefäßen und die Funktionen des Nervensystems, insbesondere des Gehirns.

Es werden im Alter nicht alle Muskelfaserarten in gleicher Weise abgebaut. Bei der Skelettmuskulatur sind es gerade die hellen, dicken, schnell zuckenden (fast twitch) FT-Fasern, die vermehrt abgebaut werden. Sie arbeiten mit energiereichen Phosphaten und Stärke ohne Sauerstoff (anaerob) und sind für schnelle und kurze Kraftleistungen geeignet. Viel weniger abgebaut werden hingegen die roten, dünnen, langsam zuckenden (slow twitch) ST-Fasern, die von langsam leitenden Nervenfasern erregt werden, Sauerstoff verbrauchen (aerob), mehr Mitochondrien enthalten, Stärke bzw. Traubenzucker, aber auch Fett (Fettsäuren) verbrauchen, für Dauerbelastungen geeignet sind und auch zur sogenannten Stützmotorik dienen. Im Alter ergibt sich deshalb eine deutliche Eignung zu Dauerbelastungen.

Sportarten mit Schnelligkeits-Steigerungen sind für Ältere abzulehnen, da sowohl für die Grundschnelligkeit als auch für die Schnelligkeitsausdauer fast ausschließlich die anaerobe Energiegewinnung mit hoher Milchsäureproduktion, starkem Adrenalinanstieg und hoher Belastung von Kreislauf und Atmung eingesetzt wird. Für ältere Menschen mit den beinahe immer vorhandenen Gefäßverengungen beispielsweise an Hirn und Herz ist das aus ärztlicher Sicht gefährlich.

Die zur Dauerbelastung gehörende Ausdauer sinkt jedoch ab dem 30. Lebensjahr, und ab 60 hat sie um ein Viertel bis ein Drittel abgenommen. Ursachen sind altersbedingte Reduktionen der Herz- und Lungenleistung und der Muskeldurchblutung sowie Verluste von Enzymen und des Stärkegehaltes der Muskulatur. Allerdings gelingt es eindeutig, gerade die aerobe Ausdauer im Alter durch Training vorsichtig und langsam zu verbessern. Dies ist wohl die wichtigste Funktion des Alterssports.

GEGEN KRANKHEIT GUT GEWAPPNET

Die im Alter vorzuziehenden Ausdauerbelastungen zeigen eindeutig positive Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Gesenkt werden Herzschlag-Folge, der Sauerstoffverbrauch von Herz und Muskulatur, erhöhter Blutdruck sowie die Ausschüttung der sogenannten Katecholamine, die u.a. Schlafstörungen hervorrufen. Erhöht werden die Ökonomisierung der Herzarbeit, die Bildung von Haargefässen und Umgehungskreisläufen im Herzen sowie die Erweiterung der Herzkranzgefäße. Der Stoffwechsel, das Immunsystem sowie das zentrale Nervensystem sind weitere Bereiche, die durch Ausdauer-Sport positiv beeinflusst werden.

Bewegung und Sport wären nicht möglich ohne Flexibilität, das heisst ohne Gelenkigkeit und Beweglichkeit des Körpers und ohne bestimmte Bewegungsradien der Gelenke. Auch sie nehmen ab den 25. Lebensjahr ab. Infolgedessen kommt es ab 50 bis 55 Jahren zu Beeinträchtigungen mit fortschreitender Versteifung. Ursachen sind die Zunahme eines unlöslichen Eiweissstoffes (Kollagen) in Bändern, Sehnen und Muskeln und das Auftreten von Arthrosen in den Gelenken. Dies führt, ähnlich wie ein Nachlassen der Muskelkraft, zu Verletzungsgefahren, besonders im Kampfsport.

ERST CHECK-UP, DANN START-UP

Auch alte Menschen die sich subjektiv gesund fühlen, sollten bei sportlichen Ambitionen mindestens ab dem 60. Lebensjahr ärztlichen Rat einholen. Besondere Bedeutung haben hierbei die Beurteilung von Herzleistung, Lungenfunktion, Blutdruck, Stoffwechsel (Diabetes) und Schilddrüsenfunktion und sonstige ohne Beschwerden einhergehende, bisher vielleicht unbekannte Organschäden. Von Laien selbst abzulehnen sind sportliche Aktivitäten bei erhöhter Körpertemperatur, akuten Halsentzündungen und Katarrhen, stark gefülltem Magen, subjektivem Unwohlsein, großer Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit und hohem Ozongehalt der Luft. Selbstverständliche Voraussetzung ist eine wenigstens gewisse eigene Motivation und die Kenntnis über Gefahren und Risiken. Die wohl größten Gefahren sind überzogener Ehrgeiz und häufig Selbstüberschätzung.

Vorweg ist zu sagen: Sport und Alter muss in besonderer Weise individuell gestaltet werden, da die persönlichen Vorbedingungen zur sportlichen Tätigkeit ausserordentlich unterschiedlich sein können. Dennoch sollten auch für den fittesten Alterssportler nicht Leistungsport gar Hochleistungssport auf dem Trainingsprogramm stehen, sondern Breiten- und Gesundheitssport. Wie bereits erläutert, sind grundsätzlich Sportarten vorzuziehen, die mit Ausdauerbelastung einhergehen. Dies sind Wandern, leichtes Bergsteigen, schnelleres Gehen, betont langsamer Dauerlauf, Radfahren, Schwimmen, Skilanglauf, Skiwandern, Tennisspielen (mit Zuspielen des Balles) und leichtes Rudern.

Besonders beachtet werden müssen im Alter folgende Trainingsgrundsätze für Ausdauerleistungen: Es sollte nur eine höchstens mittlere Trainingsintensität angestrebt werden mit beginnender sehr geringer Belastung und nur allmählicher Belastungssteigerung. Erforderlich sind eine gründliche Aufwärm-Arbeit, eine Einlaufphase, die Einplanung von reichlich Zeit und nicht zuletzt Spaß. Das Training sollte mässig, aber regelmässig erfolgen. Wettkampf -Training ist bei Senioren auf jeden Fall zu vermeiden. Das Maß der körperlichen, für einen Effekt nötigen Belastung wird – mit Vorbehalt – anhand von Pulskontrollen ermittelt. Ab dem 50. Jahr sollte als erstrebenswerter Mindestwert ein Puls von 180 abzüglich Lebensalter und bei Trainierten derselbe Wert plus fünf für jedes Jahrzehnt über 40 Jahren erreicht werden.

Muskelkraft-Training ist zur Muskelerhaltung und damit zum Erhalt der Geh-, Lauf- und Sprungfähigkeit, zur Verhütung von Altersunfällen, zur Vorbeugung von Haltungsverfall und Wirbelsäulenschäden von großer Bedeutung. Schon nach sieben Tagen Ruhigstellung z.B. durch Bettruhe oder Anlage von Gipsverbänden können bis 25 Prozent der Kraft verlorengehen. Dem Verlust der Kraft im Alter kann mit Dauerbelastungen, aber auch mit Belastung gegen Widerstand, insbesondere durch isometrische Muskelübungen (die Muskulatur bleibt ohne Änderung der Längenausdehnung angespannt) begegnet werden.

Noch jenseits von 70 Jahren ist dies bei organisch Gesunden möglich und wirksam, etwa durch fünfmal tägliche isometrische Übungen der großen Muskelgruppen mit Maximalkraft von je fünf Sekunden Dauer. Umfangreichere isometrische Belastungen oder auch Trimmpfade sind wegen ihrer Kombination von Ausdauer- und Krafttraining und dabei entstehenden Press-Atmung und Blutdruckerhöhung für ältere Menschen als riskant zu beurteilen.

Die Altersgymnastik vor allem wirkt gegen die Versteifung durch Verlust der Flexibilität. Sie hat deshalb hohen Wert, ist leicht durchfahrbar und sollte täglich mit mindestens fünfmaligen Bewegungsübungen der wichtigsten Gelenke ohne extreme Gelenkausschläge und mit Dehnübungen von Bändern und Muskeln vorgenommen werden. Sie vermittelt ähnlich wie Dauerbelastungen zudem ein positives Befindlichkeitsgefùhl.

Sport verbessert eindeutig die persönliche Kondition und die Gesundheit, aber Sport kann noch mehr. Körperliche Betätigung bringt Ausgeglichenheit, Freude am Körpergefühl, oft auch soziale Kontakte und bestärkt das gute Gefühl, aktiv am Leben teilzunehmen.

Martin Seibold, Rc Fürstenfeldbruck. Der Rotarier – Juli 1998, S. 36-39